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KindertextDas Dilemma des Andersseins
Das Dilemma des Andersseins

Das Dilemma des Andersseins

Layla hüpfte aufgeregt von einem Fuß auf den anderen. „Bist du nervös?“ fragte Arya sie. Arya war Laylas ältere Schwester. Sie studierte bereits, wofür Layla sie beneidete, denn sie musste nicht mehr zur Schule. „Na komm habibti, du wirst bestimmt schnell Freunde finden“ ermutigte ihre Schwester sie. Zum Abschied gab sie ihr einen langen Kuss, ehe sie in ihr Auto stiegt und wegfuhr. Jetzt war Layla auf sich allein gestellt. Sie ging mit klopfendem Herzen auf das gelbe Gebäude zu. „Du musst das Klassenzimmer der 2A aufsuchen“ hatte ihr Vater gestern erklärt. Layla wünschte sich, er wäre hier. Sie wusste, dass das nicht ging, denn ihre Eltern mussten arbeiten. Sie kamen oft müde nach Hause, seit sie in Köln eingezogen waren. Layla schaute sich um, aber die lateinische Schrift konnte sie noch nicht so gut lesen. „Kann ich dir helfen Kleine?“ fragte eine junge Frau sie. Layla beäugte sie schüchtern und nickte. „Ich muss 2A finden“ stammelte sie. Dabei betonte sie das e übertrieben. Das Wort für „Klasse“ wollte ihr einfach nicht einfallen. In ihrer Heimatsprache wusste sie es doch! Die Dame die sich als Frau Jurić vorstellte nahm sie an der Hand und lächelte. „Du musst Layla sein. Es freut mich dich kennenzulernen. Du bist in meiner Klasse. Na los, suche dir einen Platz der dir gefällt aus“. Layla nickte und musterte die vielen neuen Gesichter ihrer Mitschüler. Die Kinder hier sprachen alle die Sprache Deutsch. Layla verstand einzelne Wörter, aber sie war überwältig von den ganzen neuen Ausdrücken. In der Pause spürte sie, wie ihr Magen knurrte. Sie packte ihre Brotzeit aus. Ihre Mama hatte Manakish eingepackt, das war Laylas Lieblingsessen! Fröhlich biss sie in den Teig. „Was isst du denn da? Das riecht aber komisch“ sagte ein Junge. „Das habe ich ja noch nie gesehen“ stimmte ein andere ein. Layla teilte das Fladenbrot und bot es den beiden an. „Das ist Manakish, es schmeckt wirklich gut!“ erklärte sie. Die Jungen verzogen das Gesicht. „Nein, das sieht aber gar nicht lecker aus. Warum sprichst du eigentlich so komisch?“ bohrte er weiter. „Ja, lern erstmal richtig Deutsch“ lachte sein Freund mit. Gerade als Layla erwidern wollte, fasste ihr eine dritte Mitschülerin von hinten in die Haare, sodass sie erschrak. „Du hast aber grausige Haare“ bemerkte sie. Layla fühlte sich mies und schämte sich plötzlich für ihre Brotzeit. Sie fühlte sich unwohl mit ihren dunklen Locken, wo doch alle in der Klasse so hell waren. Das war ihr vorher nicht aufgefallen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie wollte so schnell wie möglich nach Hause. Für den Rest des Tages sprach sie kein Wort mit ihren Klassenkameraden. Als Arya sie endlich nach Schulschluss abholte, erzählte Layla ihr mit brüchiger Stimme, was sie erlebt hatte. Arya kniete sich vor sie hin, sodass die beiden auf Augenhöhe waren. „Hör mir gut zu Layla. Manchmal können Kinder gemeine Dinge sagen. Sie kennen unsere Kultur nicht, deshalb scheint es im ersten Moment befremdlich. Sobald man sich aber besser kennenlernt, lernt man voneinander. Du bist schön, so wie du bist. Gott hat uns alle verschieden erschaffen. Es wäre doch langweilig, wenn es auf der Welt nur eine Farbe geben würde, stimmt’s?“ Layla stimmte ihr zu. „Zwei Kulturen zu haben, ist etwas ganz Besonderes. Manchmal hat man das Gefühl, man passt in beiden nicht so richtig rein, aber das stimmt nicht. Man kann sehr wohl Teil von zwei Kulturen sein.  Statt sich nur halb zugehörig zu fühlen, muss man es als einen doppelten Bonus sehen. Dann erkennt man auch das Schöne daran.“ Layla verstand nicht so ganz, aber sie fühlte sich schon viel besser. Arya umarmte sie ganz fest und fügte hinzu: „Eigentlich ist es ganz egal, wo wir herkommen. Jeder Mensch ist besonders auf seine eigene Art.“

  

Beyza Koc

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